Der Fachterminus Epigraphik bezeichnet die Inschriftenkunde. Das Wort ist die eingedeutschte Variante einer Lehnübersetzung des lateinischen inscriptio ins Griechische: Die Epigraphik ist die Wissenschaft dessen, was auf (griechisch „επι“) einen bestimmten Träger geschrieben ist (griechisch „γραφειν“=schreiben).
Die Aufgaben der Epigraphik lassen sich in drei Themenkreisen umreißen: An erster Stelle steht der schriftkundliche Aspekt, dessen Hauptanliegen die Untersuchung der Schrift hinsichtlich ihrer formalen Entwicklung durch die Jahrhunderte darstellt, wobei bestimmte Regionen, unterschiedliche Materialien und dominierende Künstlerpersönlichkeiten stilprägenden Einfluß haben mögen, aber ebenso Sonderentwicklungen nehmen können.
Ein weiterer Gesichtspunkt betrifft Sprache und Formular der Inschriften, wobei Metrik, Freiheit und Gebundenheit im Formular sowie das Auftreten der Nationalsprachen nur einige der Kriterien beschreiben. Außerhalb der Gattungen Grab-, Haus- und Künstlerinschriften – letztere finden insbesondere in Italien variantenreiche Ausprägungen – liegen zu den mittelalterlichen und neuzeitlichen Inschriften nur sehr sporadisch Untersuchungen vor.
Der dritte, der editionstechnische Aspekt, dient der Aufbereitung der Quelle Inschrift als Basis für die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen und für flächendeckende epigraphische Untersuchungen. Diese Tätigkeit, die für den deutschsprachigen Raum vornehmlich von den Inschriftenkommissionen der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften getragen werden, mit denen der Lehrstuhl eng kooperiert, gestaltet sich aufgrund der verheerenden Umwelteinflüsse als Wettlauf mit der Zeit. Für die Edition der Inschriften beruft sich die mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik auf einheitliche Bearbeitungsgrundsätze, deren oberstes Gebot die textgetreue und benutzerfreundliche Wiedergabe darstellt.
Die epigraphische Wissenschaft begann erst sehr spät, eigene Ansätze zu entwickeln. Nachdem Jean Mabillon mit seinem 1681 erschienen Standardwerk „De re diplomatica libri VI“ den Auftakt zu hilfswissenschaftlicher Methodik und Forschung bildete, dauerte es noch bis weit ins 18. Jahrhundert, ehe man sich den mittelalterlichen und neuzeitlichen Inschriften zuwendete.
Eine erstmalige Auseinandersetzung mit epigraphischen Fragen erfolgte im Rahmen der sechsbändigen diplomatischen Abhandlung von Charles F. Toustain und René F. Tassin „Nouveau traité de diplomatique“ von 1750-65, in der ein Kapitel („Écriture gravées, empreintes, tracées ou peintes sur les métaux, les marbres…“, S. 535-695) den Inschriften gewidmet wurde. Zehn Kupferstichtafeln bieten eine willkürliche Zusammenstellung von Inschriften von der etruskischen Zeit bis in die frühe Neuzeit.
Schon bald nach dem Erscheinen der letzten Teilbände legte Johann Christoph Adelung die deutsche Übersetzung dieses grundlegenden Werkes unter dem Titel „Neues Lehrgebäude der Diplomatik“ in insgesamt neun Bänden und einem Tafelband vor. Eine Wiederaufnahme der Anregungen von Adelung sollte dann erst von der epigraphischen Forschung des 20. Jahrhunderts erfolgen.(F.A.B.)
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Die Werke von Mabillon und Adelung befinden sich im Präsenzbestand des Epigraphischen Forschungs- und Dokumentationszentrums.